Detektorphysik und Ausleseelektronik
Teilchendetektoren sind unsere "Augen", mit denen wir die kleinsten Objekte unseres Universums auf Femtoskalen beobachten können. In unserer Arbeitsgruppe entwickeln wir schnelle und hoch-präzise Detektoren um Spuren von geladenen Teilchen detektieren zu können. Sogenannte Micropattern Gas Detectors (MPGD) nutzen Gas als aktives Medium und mikroskopische Strukturen, welche mit Photo-Lithography- und Ätz-Techniken erstellt werden, um die elektrischen Signale zu verstärken und auszulesen. Die zwei prominentesten Varianten der MPGD sind die Gas Electron Multipliers (GEM) und die Micro Mesh Gaseous Structures (Micromegas), welche beide in unserer Forschung verwendet werden. Time Projection Chambers (TPC), welche GEMs als Verstärkungsstruktur verwenden, sind eine neue und mächtige Technik, entwickelt von unserer Arbeitsgruppe, um 3-D Filme von Teilchenkollisionen aufzunehmen. Moderne Auslese-Elektronik ist ein integraler Teil jedes Teilchendetektors. Im Detektor erzeugte Signale müssen weiter verstärkt, verarbeitet und digitalisiert werden. Hierfür werden high-speed application-specific integrated circuits (ASICs) verwendet. In unserer Gruppe führen wir Forschung zum Verständnis, der Adaption und der Performance-Verbesserung von MPGDs für hohe Teilchenraten, wie sie in Teilchenbeschleunigern auftreten, durch. Die Detektoren werden in Reinräumen aufgebaut, in Laboren und Teilchenstrahlen getestet und dann in Teilchenphysik-Experimenten installiert und gewartet. Das neue Forschungs- und Technologiezentrum Detektorphysik (FTD) versorgt uns mit der Hightech Ausstattung für unsere Forschung.
Mikrostruktur Gasdetektoren
Micro Pattern Gas Detectors (MPGD) sind eine Schlüsseltechnologie für Strahlungsdetektierung in Teilchenphysik-Experimenten, insbesondere wenn große aktive Bereiche oder Volumen, niedriges Material-Budget, Strahlungshärte und kosteneffektive Lösungen mit guter räumlicher Auflösung benötigt werden. Das COMPASS-Experiment kann als Pionier in der Anwendung von GEM-Detektoren gesehen werden. Dort wurden 22 große Dreifach-GEM-Detektoren unter der Führung von B. Ketzer in den Jahren 2000 bis 2002 gebaut und installiert und seitdem von unserer Arbeitsgruppe betrieben. Für das Physik-Programm mit Hadronenstrahlen wurden GEM-Detektoren mit Pixel-Auslese entwickelt, welche bei kleinem Material-Budget eine hohe Ausleserate ermöglichen.
Für AMBER werden momentan neue GEM-Detektoren entwickelt. Diese neuen Detektoren sollen alle bekannten Stärken der GEM-Detektoren mit neuen Features wie Trigger-lose Auslese und minimale Ineffizienz-Regionen über die Größe von mehreren Quadratmetern kombinieren. Aktuelle Projekte beinhalten die Qualitätskontrolle, den Zusammenbau und die Charakterisierung dieser Detektoren sowie eine Analyse ihrer Performance im Teilchenstrahl. In Kooperation mit RD51 am CERN werden einige solche Detektoren gebaut.
Zusätzlich untersuchen wir das Verhalten von MPGDs bei hohen Raten auf mikroskopischem Level unter Verwendung von Simulationen und Messungen. Ein Beispiel ist die Untersuchung des charging-up Phänomens in GEMs. Von dem ungeschützen Polymid-Teil der GEMs werden geladene Teilchen adsorbiert und ändern das lokale elektrische Feld. Ein Verständnis dieses Effektes ist für den allgemeinen Betrieb von GEM-basierten Gasdetektoren wichtig.
Time Projection Chambers
TPCs sind großvolumige Driftdetektoren, die im Wesentlichen aus einem gasgefüllten Behälter bestehen. Durch die Anwendung eines präzisen Driftfeldes und die Messung der Driftzeit der Ionisationselektronen können 3-D-Bilder von Teilchenkollisionen gemacht werden. Der Nachteil der TPCs war immer, dass sie nur etwa 1000 solcher Bilder pro Sekunde aufnehmen konnten, eine Rate, die die Anwendung in Umgebungen mit hoher Luminosität wie dem LHC einschränkt. Die Gruppe von B. Ketzer hat gezeigt, dass diese Einschränkung durch den Einsatz von GEM-Detektoren als Verstärkungsstufe überwunden werden kann. Die erste großformatige TPC auf GEM-Basis wurde im FOPI-Experiment an der GSI eingesetzt.
Die Technologie wurde dann weiterentwickelt und für den Ausbau der weltweit größten TPC am ALICE-Detektor am Large Hadron Collider (LHC) des CERN angepasst. Unsere Gruppe war - zusammen mit vielen anderen Gruppen auf der ganzen Welt - an der Aufrüstung beteiligt. Mit der neuen Technologie wird die ALICE TPC kontinuierlich Schwerionenkollisionen mit einer Geschwindigkeit von etwa 50.000 pro Sekunde aufzeichnen, wodurch mehrere TB an Daten pro Sekunde erzeugt werden. Die aktuelle Forschung der Gruppe konzentriert sich auf das Verständnis und die Optimierung der Leistung des neuen Detektors.
Ein ähnlicher Detektor, wenn auch in kleinerem Maßstab, wird derzeit für CBELSA/TAPS untersucht, ein lokales Experiment zur Baryonenspektroskopie am ELSA-Beschleuniger. Derzeit untersuchen wir Methoden zur Messung von Verzerrungen des Elektronendrift mit einem UV-Lasersystem und führen Monte-Carlo-Simulationen durch, um den Gewinn an physikalischer Leistung mit einem solchen neuen Detektor zu bewerten.
Ausleseelektronik
Um die in Tausenden von Streifen oder Pixeln von Teilchendetektoren induzierten Signale auszulesen, wird moderne Elektronik eingesetzt. Sehr oft sind anwendungsspezifische integrierte Schaltungen (ASICs) direkt mit den Ausleseelektroden des Detektors verbunden. Diese hochintegrierten Mikrochips führen eine erste Verarbeitung wie Vorverstärkung und Formung des Signals durch. Im nächsten Schritt wird das analoge Signal digitalisiert und weiterverarbeitet, bevor es zur Speicherung an den Computer weitergeleitet wird. Zur Steuerung der ASICs und zur Lenkung und Weiterverarbeitung des Datenflusses werden moderne Field Programmable Gate Arrays (FPGA) eingesetzt. Sie sind in der Lage, viele digitale Signale parallel mit komplexen Operationen zu verarbeiten und integrieren dedizierte Speicherblöcke, Ethernet-Stacks, CPUs und neuerdings sogar für Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI) optimierte Kerne. Diese Geräte werden traditionell in der Hardwarebeschreibungssprache (HDL) programmiert, aber seit kurzem ist auch die Programmierung in high-level Sprachen (High Level Synthesis HLS) möglich.
In unserer Gruppe verwenden wir mehrere ASICs, um unsere Detektoren auszulesen, je nach Zweck. Der APV25-Chip, der ursprünglich für den CMS-Silizium-Tracker entwickelt wurde, wird zum Auslesen der GEM-Detektoren für COMPASS und NA64 verwendet. Derzeit arbeiten wir in Zusammenarbeit mit der TU München an einer neuen Version von Front-End-Karten und Auslese-Analog-Digital-Wandlern (ADCs). Die Komponenten werden im Haus zusammengebaut, wobei die Ausrüstung des FTD wie eine Bestückungsmaschine, eine Drahtbondmaschine usw. genutzt wird. Jede elektronische Karte muss in einer speziellen Einrichtung getestet werden, bevor sie an den Detektor angeschlossen wird.
Der AFTER-T2K ASIC wurde für das T2K-Experiment in Japan entwickelt. Er wurde für die FOPI TPC an der TU München übernommen und wird auch für kleine Test-TPCs in unserem Labor verwendet. Im Gegensatz zum APV25 kann dieser Chip bis zu 512 Zeitabtastungen pro Kanal speichern und aussenden, was es uns ermöglicht, einen kompletten Driftframe einer TPCs aufzuzeichnen.
Während sowohl der APV25 als auch die AFTER-T2K ASICs ein externes Triggersignal benötigen, um ausgelesen zu werden, werden zukünftige Experimente mit sehr hohen Datenraten und/oder komplizierten Ereignistopologien wie AMBER in einem freilaufenden oder selbstgetriggerten Modus arbeiten. Eine solche Betriebsart ist im Hinblick auf das physikalische Potenzial viel leistungsfähiger, erfordert aber eine intelligentere Front-End-Elektronik, die Signale ohne externen Trigger erkennen und aussenden kann. Dies ist derzeit eines der Hauptthemen im Zusammenhang mit der Elektronikentwicklung in unserer Gruppe. Das Thema wird in einem von der EU finanzierten Marie-Curie-Projekt unter der Leitung von M. Lupberger verfolgt. Wir evaluieren die neuartigen TIGER- und VMM-ASICs für die Ausstattung zukünftiger Detektoren. Für den VMM verwenden wir das allgemeine skalierbare Auslesesystem der RD51-Zusammenarbeit. Für den TIGER arbeiten wir mit der Gruppe des INFN Torino zusammen. Eine endgültige Entscheidung darüber, welcher ASIC bei AMBER eingesetzt werden soll, muss bald getroffen werden, und wir vergleichen die beiden ASICs. Dann muss ein spezielles AMBER-Frontend-Board entwickelt werden, das mit der allgemeinen AMBER-DAQ verbunden wird. Dies erfordert die Entwicklung von Hardware, Software und FPGA-Firmware sowie intensive Tests der Elektronik.
Der zweitgrößte Beschleuniger des CERN, das so genannte Super Proton Synchrotron SPS, dient nicht nur als Vorbeschleuniger für den LHC, sondern seine Strahlen werden auch zur Erzeugung von Sekundärstrahlen verwendet, die zu den Fixed-Target-Experimenten des Nordbereichs des CERN geleitet werden. Im Hadronenmodus bestehen diese Strahlen hauptsächlich aus Pionen.
AMBER, das Nachfolgeexperiment von COMPASS in der North Area, ist während eines großen Teils seines Physikprogramms stark an der Physik mit Kaon- und Antiprotonenstrahlen interessiert. Dazu ist es notwendig, die anderen Teilchenarten herauszufiltern, so dass die Mehrzahl der Strahlteilchen von der Art ist, die interessiert.
Mit der sogenannten radio-frequency separation technique (p. 102) kann man den Strahl von unerwünschten Teilchen (also hauptsächlich Pionen) reinigen. Dabei macht man sich die unterschiedlichen Geschwindigkeiten verschiedener Spezies bei gleichen Impulsen zunutze. In einer ersten RF-Kavität (in Kavitäten gibt es ein zeit- und ortsabhängiges elektrisches Feld zur Beschleunigung des Strahls) werden alle Teilchen in Abhängigkeit von ihrer Ankunftszeit in der Kavität transversal abgelenkt. Eine zweite Kavität wird in einem bestimmten Abstand hinter der ersten platziert, und ihre relative Phase wird so abgestimmt, dass die gewünschten Teilchen eine Nettoablenkung erhalten, während die anderen nicht gestoßen werden. Mit einem hinter der zweiten Kavität angeordneten Beam Dump filtert man alle Arten heraus, die keine Nettoablenkung haben. Schließlich besteht der Strahl hauptsächlich aus einer Art.
Im Moment befinden wir uns in einer Phase, in der die Machbarkeit einer solchen Filtertechnik untersucht wird. Dazu müssen verschiedene Strahloptiken und Hohlraumeinstellungen mit Simulationscodes wie MAD-X und BDSIM entwickelt und analysiert werden. Bei einem positiven Ergebnis der Machbarkeitsstudie wäre der nächste Schritt die Konzeption eines solchen HF-getrennten Strahls. Diese Studien werden hauptsächlich am CERN in Kooperation mit dem Beams Departement - Experimental Areas (BE-EA) durchgeführt.